Bern im All

Das Berner Sonnenwindsegel

Als am 21. Juli 1969 Buzz Aldrin als zweiter Mann aus der Mondlandefähre stieg, entrollte er als Erstes das Berner Sonnenwindsegel und steckte es noch vor der amerikanischen Flagge in den Boden des Mondes. Wie gelangte dieses Solar Wind Composition Experiment (SWC), das von Professor Johannes Geiss am Physikalischen Institut der Universität Bern geplant und ausgewertet wurde, auf den Mond?

Der Sowjetunion, die eine beeindruckende Raketenbau-Tradition hat, gelang es 1957, den ersten Satelliten auf eine Erdumlaufbahn zu schicken («Sputnik 1») sowie 1961 den ersten bemannten Weltraumflug durchzuführen (Yuri Gagarin). Die USA waren tief betroffen – man sprach von einem «Sputnik-Schock». Das führte dazu, dass Präsident John F. Kennedy kurz nach seinem Amtsantritt im Jahre 1961 proklamierte, noch vor Ende des Jahrzehnts werde ein Amerikaner seinen Fuss auf den Mond setzen. Damit war der Startschuss für das Apollo-Programm der amerikanischen Weltraumbehörde NASA gegeben. Mit Apollo 11 landeten am 20. Juli 1969 tatsächlich erstmals Menschen auf dem Mond. Als Neil Armstrong und Edwin «Buzz» Aldrin aus der Landefähre stiegen, schrieb man in Europa bereits den 21. Juli 1969.

Johannes Geiss testet 1971 in der Klimakammer der Contraves in Zürich das Funktionieren des für Apollo 16 modifizierten Sonnenwindsegels © Universität Bern
Astronaut Edwin «Buzz» Aldrin auf dem Mond mit dem Sonnenwindsegel der Universität Bern, 1969 ©NASA

Bern kommt mit ins Spiel

Bei dieser ersten Mondlandung war auch die Universität Bern mit dem berühmt gewordenen Sonnenwind-Experiment dabei: Kurz nach der Landung der Mondfähre wurde auf der Mondoberfläche eine Aluminiumfolie aufgespannt und der Sonne ausgesetzt. Während einer gewissen Zeit fing diese Folie die Partikel des Sonnenwindes ein (die Zusammensetzung der gesammelten Sonnenwind-Atome wurde später in den Labors des Physikalischen Instituts in Bern ausgewertet). Das Experiment wurde später bis Apollo 16 fortgesetzt, nur bei der letzten Mondlandung war es nicht mehr dabei. Die Universität Bern war schliesslich an insgesamt sechs Apollo-Missionen beteiligt (allerdings blieb bei Apollo 13 die Landung auf dem Mond aus, weil während des Fluges ein Sauerstofftank explodiert war – die Rettung der Astronauten hatte Vorrang).

Wie kam es zu dieser Mitarbeit der Berner? Schon Jahre vor der ersten Mondlandung begannen Wissenschaftler, Vorschläge für wissenschaftliche Experimente für die geplante Mondfahrt zu machen. Die Berner Physiker Johannes Geiss, Peter Eberhardt und Peter Signer (dieser arbeitete damals in den USA, später wurde er Professor an der ETH Zürich) schlugen nach eingehender Beratung eben das Sonnenwind-Experiment vor.

Von der Sonne strömen fortwährend Ionen und Elektronen mit einer Geschwindigkeit von über 1 Million km/h ins Weltall. Dieser Sonnenwind kommt auf der Erde nicht an, da er von der Atmosphäre und von der Magnetosphäre gebremst und abgelenkt wird. Unverfälschte Ergebnisse über den Sonnenwind sind nur im freien Raum oder dann auf einem Himmelskörper zu erhalten, der, wie der Mond, praktisch keine Atmosphäre besitzt. (Johannes Geiss, 1998)

Im Herbst 1965 kamen NASA-Experten, darunter der Astronaut Don Lind, nach Bern, um den Berner Experiment-Vorschlag näher unter die Lupe zu nehmen. 

Inzwischen waren Vorarbeiten und Tests, bei denen sich die damaligen Studenten Fritz Bühler und Jürg Meister bewährten, in vollem Gange. Wichtige Fragen waren aber noch zu klären: Wie liess sich die Aufstellung des «Sonnenwindsegels» auf dem Mond verwirklichen? Konnte der Sonnenwind die Mondoberfläche überhaupt erreichen? Mit den damaligen beschränkten Kenntnissen über die Dichte der Mondatmosphäre oder die Stärke des dortigen Magnetfeldes war diese Frage nicht eindeutig zu beantworten. (Johannes Geiss, 1998)

Die Entscheidung

Entscheidend wurde das Jahr 1967: Damals nahm Geiss an einem NASA-Meeting in Kalifornien teil, bei dem die zukünftigen Landeplätze auf dem Mond ausgewählt und die Exkursionen und wissenschaftlichen Tätigkeiten der Astronauten im einzelnen festgelegt wurden. Bei diesem Meeting wurde das Schweizer «Sonnenwindsegel» gesamthaft ins Programm aufgenommen. Akzeptiert wurde auch der Berner Vorschlag, sich an den Untersuchungen von Mondgestein zu beteiligen und insbesondere Altersbestimmungen und andere Isotopenuntersuchungen vorzunehmen. An diesem Meeting wurde allerdings keineswegs zugesagt, dass das Berner Sonnenwind-Experiment gleich bei der ersten Mondlandung zum Zuge kommen würde – dieser Beschluss fiel erst Ende 1968. Johannes Geiss weilte damals im Rahmen eines Sabbaticals während neun Monaten in Houston. Er konnte mitverfolgen, wie das Mondlandeprogramm von den Astronauten Neil Armstrong und Edwin «Buzz» Aldrin auf der Erde so eingeübt wurde, bis alle Griffe automatisch abliefen: Geübt wurden das Ein- und Aussteigen, die Bewegung in der Schwerelosigkeit, die Arbeit im Raumschiff und später in der Landefähre, das Aufstellen des «Sonnenwindsegels», das Einsammeln von Mondgestein und das Schlafen. Jeder Handgriff musste simuliert werden, um einen realistischen Zeitplan aufstellen zu können. Wie bei der Pilotenausbildung wird viel Wert auf die richtige Reaktion bei Zwischenfällen und Pannen gelegt. (Johannes Geiss, 1998)

Auf der alten Filmrolle im Archiv des Physikalischen Instituts hat jemand handschriftlich vermerkt: «Astronaut mit Folie im Sturmwind - lustig». Die Aufnahmen der NASA vom Mai 1968 wurden nun erstmals digitalisiert. Hans Balsiger, emeritierter Professor an der Universität Bern, arbeitete während des Apollo-Programms unter anderem an der Rice University in Houston und kommentiert den Archivschatz: Astronaut Don L. Lind trainiert den Auf- und Abbau des Sonnenwindsegels.


Nun – die Mondlandung gelang. Bei der ersten Mondlandung weilte auch Prof. Johannes Geiss im Kontrollzentrum der NASA in Houston. Kaum hatten die beiden Astronauten Armstrong und Aldrin den Mond betreten, wurde auch schon das Sonnenwindsegel aufgestellt. Dies, noch bevor die amerikanische Flagge gehisst worden war.

Um die Sonnenwindteilchen über eine möglichst lange Zeit einzusammeln, musste unser Experiment so früh wie möglich aufgestellt werden, und dies brachte das Sonnenwindsegel in Konkurrenz mit der amerikanischen Flagge. Zusammen mit NASA-Wissenschaftlern vor Ort in Houston haben wir dann erreicht, dass unserem Experiment eine sehr hohe Priorität in der Reihenfolge der Astronautentätigkeiten auf dem Mond eingeräumt wurde. Schliesslich wurden dem Berner Experiment 70 Minuten zugestanden. Der erste Ausflug auf dem Mond dauerte insgesamt nur zweieinhalb Stunden. (Johannes Geiss, 1998)Das erfolgreiche Sonnenwind-Experiment verschaffte den Berner Physikern damals eine unglaubliche Popularität: Kaum eine Zeitschrift und kaum ein TV-Sender, die nicht darüber berichtet hätten. Das Schweizer Sonnenwind-Experiment war nicht nur publizistisch, sondern auch wissenschaftlich ein voller Erfolg. 

Die Resultate über die Isotopenzusammensetzung der Edelgase finden bis heute Verwendung auf dem Gebiet der Sonnenphysik und bei Fragen über die Bildung der Planeten, der Astro-Physik bis hin zur Kosmologie. Die wissenschaftlichen Ziele sind vollständig erreicht worden. (Johannes Geiss, 1998)Während das Sonnenwindsegel der Erforschung der Sonne und ihrer zeitlichen Entwicklung galt, dienten die meisten anderen Apollo-Experimente und die Analysen an Mondproben der Mondforschung. Auch hierzu hat die Universität Bern wichtige Beiträge geleistet.

Die Messungen des Sonnenwindes auf den Apollo Missionen machten den Anfang eines sehr erfolgreichen Forschungsprogrammes an der Universität Bern mit der satellitengestützen Erforschung der Sonne mit Raumsonden der ESA und NASA welches bis heute läuft. So waren Instrumente der Universität Bern zum Beispiel an Bord der Missionen ISEE-3, Ulysses, WIND, SOHO, ACE, Genesis oder Solar Orbiter.

* Dieser Artikel ist die gekürzte und aus heutiger Sicht ergänzte Fassung eines Beitrags aus UniPress Nummer 96 vom April 1998.

Die Passagen in fetter Schrift wurden von Prof. Geiss 1998 selber eingesetzt.

Johannes Geiss, Pionier der Weltraumforschung

Johannes Geiss hat beim Aufbau und bei der Entwicklung der europäischen Weltraumforschung während Jahrzehnten eine wichtige Rolle gespielt. Am 4. September 1926 in Pommern geboren, hat Geiss in Göttingen Physik studiert und 1953 als Experimentalphysiker promoviert. Zwischen 1953 und 1958 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten von Chicago und Bern, 1957 habilitierte er sich in Bern. Nach einer Professur für Ozeanwissenschaften an der Universität Miami wurde er 1960 in Bern zum Extraordinarius gewählt und 1964 zum Ordinarius ernannt. Nach dem Tod von Professor Friedrich Georg Houtermans 1966 bis zwei Jahre vor seiner eigenen Emeritierung im Herbst 1991 war Geiss Direktor des Physikalischen Instituts der Universität Bern. Von 1995 bis 2002 war Johannes Geiss Co-Direktor des International Space Science Institute (ISSI) in Bern, das auf Initiative von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von vier Schweizer Universitäten sowie Vertretenden aus der Schweizer Industrie und vom Bund entstanden war.

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